Wieder zurück in La Paz. Irgendwie habe ich kaum noch Erinnerungen an mein letztes Mal hier. In den letzten sechs Jahren hat sich viel verändert, aber dann auch wieder nicht. Der Verkehr ist immer noch chaotisch, die Luft dunstverhangen, die Stadt quirlig und lebhaft. Von der ersten Sekunde an erlebe ich die Stadt aber intensiver und fühle mich mitten drin. Dass mein letztes Mal mir nicht wirklich in Erinnerung ist, ist eher komisch. Dabei habe ich hier meinen Geburtstag ausgelassen gefeiert, Flüge und Touren gebucht, Minibusse genommen und in einem Hostel gelebt.
La Paz im Wandel
Letzteres macht mich stutzig: „in einem Hostel gelebt“. Mir wird klar, was sich verändert hat. Ich habe mich verändert und meine Art zu reisen. Statt auf „vorgegebenen“ Lonely-Planet-Routen unterwegs zu sein, von Hostel zu Hostel zu springen, von Reisebekanntschaft zu Reisebekanntschaft zu hüpfen und jedes mal in einer vorgefertigten behüteten Welt mit Gleichgesinnten unterzugehen, bin ich dieses Mal geplant ungeplant unterwegs. Ein neues Konzept mit Ähnlichkeiten zum Backpackertum, aber mit dem entscheidenden Unterschied: ohne Hostel.
Es ist dieses Mal ein Hotel im Stadtzentrum von La Paz geworden. Ohne Zwang überhaupt etwas zu tun, ohne Verlockung, sich einer Gruppe anzuschließen und ohne die sonst so übliche vorgekaute Aktivitätenlandkarte. Das ändert viel. Christian und ich müssen uns um alles kümmern, können in die Stadt abtauchen und ausbrechen. Aber dennoch schließen wir uns erstmal einer Stadtführung an, gehen in die Touristenrestaurants der Stadt und leben recht entspannt, um dann wieder in anderen Momenten tiefer in die Stadt und die Umgebung einzutauchen.
Aber wie passt das alles ins Gesamtbild der Expedition 6000? Nach Patagonien und den wunderschönen Wandertagen galt es als Vorbereitung auf den Aconcagua, langsam an Höhe zu gewinnen. Auch wenn der Sprung auf 3600 Meter nicht gerade sachte ist, so ist er definitiv wertvoller, als direkt an den Aconcagua zu fliegen und vielleicht durch die Höhenkrankheit die Expedition zu gefährden.
Höhenluft
Also genießen wir mehr oder weniger die für uns neue Höhenluft. Schon der Weg vom Hotel in die umliegenden engen Gassen lässt mir bei meiner normalen und flotten Gangweise die Luft nach nur wenigen Momenten ausgehen. Es ist ungewohnte Langsamkeit geboten. Auch der Verkehr und das Gewusel auf den Straßen ist absolut ungewohnt, wenn auch nicht unbekannt. Während es in Santiago noch fast klinisch sauber im Vergleich mit La Paz zuging, ist La Paz umso lebhafter, bunter und aufgeweckter. Es ist ein Sprung zwischen den Kulturen. Das Lebensgefühl hier spielt sich zum großen Teil auf der Straße ab. Die Cholitas bieten ihre Waren feil, von frischem Obst und Gemüse bis Popcorn ist alles dabei. Unaufhaltsames Hupen dringt in unsere Ohren.
Wir schließen uns einer alternativen Stadtführung an. Unser Startpunkt ist das San Pedro Gefängnis im Herzen der Stadt. Über 2500 Gefangene und deren Familien leben hier. Die Kinder gehen jeden Tag die benachbarte Schule, die Gefangenen gehen ihren Geschäften innerhalb der Mauern nach und die Familienangehörigen gehen ein und aus. Das Gefängnis ist eine eigene Wirtschaftszone mit vielen Kuriositäten. Bekannt wurde es unter Touristen nachdem das Buch „Marsch Pulver“ herausgegeben wurde und damit die Sightseeing Touren im Gefängnis lostrat. Heutzutage sind diese illegal und es wird deutlich davon abgeraten. Die Gründe kann sich jeder Mensch mit einem gesunden Menschenverstand selbst ableiten.
Märkte und Proteste
Die Stadtführung durchquert einen der vielen offenen und regelmäßigen Märkte, den Rodriques Markt. Er nimmt hier ganze Straßenzüge ein und ist unheimlich stark frequentiert. Unsere Stadtführer Daniel und Romberto erzählen uns die Geschichte über die Händler und Händlerinnen. Jeder Kunde hat seine eigenen „Casera“, seinen Haus-und-Hof-Händler und persönlichen Psychologen. Nur hier kauft er ein, hier bekommt er oder sie Rat in allen Lebenslagen und natürlich frisches Gemüse ganz nebenbei dazu. Der Markt ist die soziale Plattform für jeden, auch wenn Facebook in Bolivien auch immer beliebter wird.
Wir steuern den Hexenmarkt an. Das Kuriosum der Stadt und der Kultur. Die Einheimischen kommen hierher um „Patcha Mama“ gutmütig zu stimmen. Dazu gehören Autos, Häuser und mehr. Dazu gibt es hier auch „Pülverchen“ für alle Lebens- und Liebeslagen. Während wir den Ausführungen lauschen, gehen im Stadtzentrum Böller los. Eine der vielen Demonstrationen in diesem protestliebenden Land. Am Plaza San Francisco lernen wir mehr über die Geschichte der spanischen Eroberer, bevor wir im Mercado Lanza eine Pause machen und die köstlichen frischen Säfte probieren.
Unsere Tour endet am Plaza Murillo mit drei wichtigen Gebäuden: der Kathedrale, dem Regierungspalast aka „dem abgebrannten Palast“ und dem Nationalkongress. Trotz dieser Ansammlung von wichtigen Gebäuden ist La Paz nicht die Hauptstadt von Bolivien. Die Hauptstadt ist Sucre historisch bedingt durch die großen Minenvorkommen in der Region.
Am Ende der Stadtführung durchqueren wir die Polizeisperren um den Plaza Murillo und sehen uns mit dem Grund der Absperrungen und der lauten Böllerschläge konfrontiert: den Protesten auf der Hauptstraße. Wofür und wieso finden wir nicht heraus. Selbst unser Stadtführer kann diese Frage nicht abschließend beantworten!
Willkommen in La Paz! Willkommen in Bolivien!
Mehr Impressionen aus Bolivien findet ihr auch bei Philipp.
Expedition 6000+
Dieser Artikel ist Teil meiner Serie „Expedition 6000+„. Sie führt zwei Monate durch die schönsten Wanderregionen Südamerikas von Patagionen, Bolivien bis zum höchsten Punkt der Reise, dem Aconcagua in Argentinen. Folge der Reise und genieße die weiten Landschaften, hohe Berge und die abwechslungsreiche Kulturen Südamerikas.
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