Mein Einstieg in die Welt der Stämme: die Mursi. Bekannt für ihre Lippenteller und die Ziernarben, sind sie ein Muss für jeden Touristen in der Region; mit allen positiven und negativen Konsequenzen.
Ein Rucksackreisender würde diese Ecke des Landes als logistischen Albtraum bezeichnen und auch deshalb ziehen es viele vor, die Region ums Omo Tal („Omo Valley“) in einer geführten Tour mit eigenem Auto zu bereisen. Ich nehme die Herausforderung an, die Region in der Neben- und Regensaison mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erkunden und werde Abenteuer erleben, fahrende Untersätze suchen und leider auch die Schattenseiten sehen.
Tor der Region
Seit zwei Tagen warte ich nun schon in Arba Minch auf Reisebegleiter. Den ersten Tag verbringe ich mit Meheret, meinem Guide, und wir planen zusammen meine Reiseroute. Es erfordert eine Menge Wissen und Geschick, die ganzen Orte logisch miteinander zu verbinden und die Markttage abzupassen. Ansonsten steht man am Ende der Welt in einem verlassenen Dorf.
Mir schwebt am Anfang noch Turmi als Höhepunkt der Südtour vor. Mit etwas Glück kann man hier das Rinderspringen besuchen. Aber öffentliche Verkehrsmittel dort hin sind Mangelware und ich hoffe auch am zweiten Tag auf mehr Backpacker, um mir das Mietauto ab Jinka teilen zu können.
Den zweiten Tag verbringe ich im Nachisar Nationalpark und besuche den Krokodilmarkt. Abends habe ich dann Glück. Im Nachbarhotel spreche ich ein Pärchen an und siehe da, zumindest bis Jinka stimmt unsere Reiseroute überein und wir können uns zumindest die Mursi-Tour teilen. Die Chance lasse ich mir nicht entgehen und wir fahren morgens mit dem Bus von Arba Minch nach Jinka. Geduld war dennoch von Nöten, denn obwohl am Busterminal ein Bus stand, waren einfach keine Passagiere da. Wir warteten geschlagene drei Stunden bis sich der Bus füllte und einer Abfahrt nichts mehr im Wege stand. Ein erster Vorgeschmack auf die schwierige Bussituation in der Nebensaison. Nach sieben Stunden stehe ich dann in Jinka und noch am Abend kontaktiere ich einen Kollegen von Meheret, um die Mursi-Tour für den nächsten Tag zu organisieren.
Mursi-Dorf
Recht unkompliziert organisiere ich den Mursi-Besuch. Die Mursi sind ein Stamm im Omo Tal und leben lokal im unzugänglichen Bereich zwischen dem Mago und Omo Fluss. Unser Mini-Bus fährt uns Richtung Osten aus Jinka hinaus und bald kommen wir im Mago Nationalpark an. Runde Holz- und Lehmhütten begleiten uns den ganzen Weg entlang der holprigen und staubigen Piste. Es wird immer wärmer, wir passieren einen Bergpass und halten kurz. In der Ferne sieht man Berge im Südsudan und etwas weiter südlich die Berge auf der kenianischen Seite. Nach dem Pass durchqueren wir das weite Mago-Tal. 1 1/2 Stunden Fahrt liegen hinter uns, als wir den letzten Steigungen der Straße folgen und in eine kleine Nebenstraße abbiegen. Unter einem Baum halten wir. Wir haben das Touristendorf der Mursi erreicht. Zum Glück ist Nebensaison, denn unser Guide erzählt uns von 20 bis 30 Jeeps, die hier teilweise auf Audienz warten und die Touristen durch das Dorf schleusen.
Wir sind alleine, was das Gefühl nicht gerade besser macht. Es fühlt sich komisch an, einfach so in dem Dorf aufzuschlagen, etwas über die Geschichte erzählt zu bekommen und dann nach Bezahlung von 5 Birr (0,25Euro) ein Bild von einer Person zu machen. Es ist einfach alles gestellt, auch wenn die “Ausstellungsobjekte” wirklich hier leben. Dafür ist die Geschichte der Mursi umso interessanter. Sie sind auch bekannt für die “Lippenteller” der Frauen (“Lip-Stretcher”). Der Körperschmuck, die durch Narben verzierte Haut und Körperbemalung ist einzigartig. Für uns ist der Spuck nach 30 Minuten schon wieder vorbei. Ich habe die Nase voll von einem Mursi mit AK47, der mir die ganze Zeit auf die Schulter tippt und ein Foto, natürlich gegen Bezahlung, von sich haben möchte.
Der Massentourismus tut hier wirklich nicht gut und ich bin mir nicht sicher, wie lange die wahre Kultur der Bauern und Rinderzüchter noch existieren wird. Die Lippenteller werden für junge Frauen immer unattraktiver, ich sehe schon die ein oder andere, die nur noch einen Lederriemen mit einem Tonteller trägt und auch der Kleidungsstil wird immer westlicher.
Ich stehe dieser Art des Tourismus skeptisch gegenüber. Auf der einen Seite ist es gut, dass der Tourismus Geld in die arme Region bringt und die Stämme nicht durcheinander besucht werden und die Besucher geordnet “empfangen” werden. Auf der anderen Seite macht es mir keinen Spass, zu sehen, was Tourismus aus einer alten Tradition macht.
Wir kehren mit bunten Bildern und gemischten Gefühlen zurück nach Jinka.
Markttag in Keyafer
Nach einem Ruhetag und einem Besuch des kleinen Stämme-Museums auf dem Hügel über Jinka starte ich den Versuch, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Turmi zu kommen.
Die Aussage an der Bushaltestelle war: es fahren Busse Dienstag, Donnerstag und Samstag und am folgenden Tag wieder zurück. Ich sitze um 5 Uhr an der Bushaltestelle. Es fahren Busse nach Arba Minch, nach Karat Konso, Minibusse nach Keyafer, und die Bushaltestelle leert sich langsam. Gegen acht Uhr kommt der Haltestellenmanager auf mich zu und sagt mir kurz und knapp “What shall I do? No car! Wait!” (“Was soll ich tun? Kein Auto! Warte!”). Ich gebe die Hoffnung nicht auf, aber um 9 Uhr überwältigt mich der Hunger und ich gehe zurück ins Hotel und frühstücke. Da heute Markttag in Keyafer ist und Keyafer nur 40 Kilometer entfernt ist, entschließe ich, mich zwei Schweizerinnen anzuschließen und auf den Markt zu fahren.
Wir kämpfen regelrecht um einen Sitzplatz im Minibus, aber knapp 50 Minuten später erreichen wir die kleine Bushaltestelle in Keyafer. Schon auf dem Weg in die kleine Stadt passieren wir hunderte Fußgänger, die meisten in ihren Trachten. Viele tragen Waren in gelben Plastikkanistern oder großen Tonkrügen auf ihrem Rücken, manche führen Ziegen neben sich her, andere treffen auf Freunde und unterhalten sich munter am Straßenrand. Ein buntes Treiben, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir nehmen uns für 50 Birr (2,5 Euro) pro Person einen Guide für den Markt und treffen auf drei verschiedene Stämme: Ari, Banna und Tsamay.
Unser erstes Ziel ist der Viehmarkt. Grob aufgeteilt in Rinder- und Ziegenzone ist der eingezäunte Bereich ein lebhafter Mischmasch aus freilaufenden Rindern, kämpfenden Bullen, handelnden Stammesmitgliedern und ein paar Touristen, die sich dazwischen tummeln und Bilder machen. Nur wenige Frauen zieht es hier her.
Der Viehhandel ist vornehmlich ein männerlastiges Gewerbe. Auf dem Weg zum frauenlastigeren Teil des Marktes kommt ein hupendes Motorrad an uns vorbei. Auf dem Rücksitz ein Mann mit einer Ziege auf dem Schoß. Eine andere störrische Ziege muss aus dem Weg gezehrt werden und wir springen auch zur Seite.
In wundervollen Trachten gekleidet, werden uns von dem Guide die einzelnen Stämme vorgestellt und die Details erklärt. Schön finde ich, dass die Touristen etwas untergehen und ihre eigene Sektion auf dem Markt haben. Der Rest ist wirklich für die Einheimischen und die Atmosphäre sehr authentisch.
Nach zwei Stunden erklären wir unseren Marktbesuch für beendet und kehren auf einen Avocadosaft ein. Der Rückweg nach Jinka gestaltet sich etwas langwieriger. Wir müssen uns auf einer Warteliste registrieren und bekommen nach zwei Stunden warten einen Sitzplatz im letzten Minibus.
Dennoch, am Ende bekommt der Tag eine neutrale Bewertung. Leider bin ich nicht nach Turmi gekommen, dafür habe ich einen schönen Markt gesehen.
Markttage im Omo Tal
Montag | Gazer, Meatser, Kako, Turmi, Dorze |
Dienstag | Jinka, Tolta, Dimeka, Alduba |
Mittwoch | Koybe, Yetnabersh |
Donnerstag | Gazer, Meatser, Keyafer, Beneta, Turmi, Bala, Gio |
Freitag | Kein Markt |
Samstag | Jinka, Tolta, Wubamer, Hanaa, Dimeka, Arbore, Woyto |
Sonntag | Luka |
Quelle: Guide to the Omo Valley / Keine Garantie auf Richtigkeit oder Vollständigkeit
Die Schattenseiten des Südens
Leider habe ich im Süden einige schlechte Erfahrungen gemacht. Wegen einmal würde ich es nicht erwähnen, aber es häufte sich ein wenig. Vor allem hatte ich Probleme mit der Ehrlichkeit der Personen. Vermehrt wurden Rechnungen in Restaurants falsch und unvollständig geschrieben, um dann mündlich mehr als den normalen Preis zu verlangen. Auch wurden Yuko, meiner japanischen Reisebegleitung in der Region, zweimal in einer Woche Steine hinterher geworfen und die Hilfsbereitschaft in beiden Fällen von Passanten war nicht vorhanden. Die Preise im Süden sind unverschämt teuer und Touristen werden nur mit $$$-Zeichen in den Augen betrachtet. Mir war des Süden persönlich sehr unsympathisch.
Dominik,
wir werden auch wenn es Schattenseiten gibt ganz bestimmt mal nach Äthiopien reisen, es gibt intensive Eindrücke und wir sind so einiges gewohnt. Danke trotzdem für den Hinweis, wir werden aufpassen.
Grüsse,
Vinc
Ich hatte ähnlich gemischte Gefühle, als wir vor 8 Jahren bei den Mursis aufschlugen. Interessant sind auch deine Erfahrungen, mit Bussen in der Gegend unterwegs gewesen zu sein. Im Norden waren wir auch nur mit Bussen unterwegs. Für die Südroute haben wir uns dann doch einen Geländewagen und Guide besorgt. In Jinka trafen wir an unserem letzten Tag auf einen Tschechen, der auch den ganzen Weg nur mit Bussen zurückgelegt hatte und in Jinka einfach kein Auto fand, das ihn mit zu den Mursis nahm. Wir haben ihn dann mit nach Turmi genommen, sonst wäre er wieder nach Addis zurückgefahren. Lieben Dank, mich immer wieder gedanklich mit auf Reisen durch Äthiopien zu nehmen. Ein sehr interessantes und vielfältiges Land, das mich sehr zum Nachdenken angeregt hat und in das ich bald zurückkehren möchte. LG, Mad