Wer behauptet die Demokratische Republik Kongo zu kennen und nur in Kinshasa oder Mbandaka war, erntet ein müdes Lächeln von mir. Es liegen Welten zwischen diesen Städten und dem restlichen Kongo. So groß, dass nach etwas über zwei Wochen Härte in den letzten Winkeln der Republik mich ein regelrechter Zivilisationsschock bei der Ankunft in Mbandaka trifft.
Geteerte Straßen, gefüllte Lebensmittelläden, ein fast unglaublicher Motivationsschub und Sauberkeit; Werte, die man erstmal wieder verkraften muss.
Mbandaka: ein Hauch von kolonialem Flair
Ein erster Ausflug durch Mbandaka führt uns gleich aus der Stadt hinaus. Der Äquatorstein von Stanley lockte unser Interesse. Auch wenn Stanley sich um knappe 4 Kilometer vertan hat, so kann man zumindest einen Stein und ein Schild fotografieren. Die Plakette fehlt zwar, aber das Touristenbüro will sie bald anbringen lassen.
Auf dem Rückweg in die Stadt machen wir kurz halt an der prominentesten Bauruine der Stadt: dem Palast von Mobutu. Nicht zu verwechseln mit seinen drei geplünderten Prachtschlössern in Gbadolite, ist die Ruine einfach nur in der Zeit stehen geblieben. Die Lage und das Gerippe zeugen von einem großen Vorhaben. Wir spazieren frei herum und werden etwas von der Dorfjugend begutachtet. Touristen sieht man hier nicht häufig aus der Nähe.
Ein Spaziergang an der Hafenpromenade entlang offenbart großes geschäftiges Treiben mit vielen kleinen Marktständen. Eine unserer schon lange offenen Fragen wird auch gleich beantwortet: Wo sind denn die ganzen alten Passagierschiffe abgeblieben? Zwei stehen verrostet und verlassen auf dem ehemaligen Werftgelände der ONATRA. Die Werfthallen haben definitiv auch schon bessere Tage gesehen und die Arbeiterhäuser gegenüber sehen leerstehend aus, während im Garten Lehmhütten stehen. Weiter landeinwärts, parallel zum Fluss verläuft die Prachtmeile der Stadt: geteert, gepflegt und mit kolonialistischen Gebäuden von Anfang bis Ende ausgeschmückt. Neben der Post, welche uns sogar in ihr Inneres hat schauen lassen, reiht sich das Rathaus, viele Geschäfte und Banken, ein schöner Park und mehrere Verwaltungen aneinander.
Kleinere Wohnviertel aus den verschiedensten Epochen gliedern sich um das Zentrum und Kirchen sprießen, wie im ganzen Land, aus dem Boden. Eine neue „Kathedrale“ ist im Bau, wird aber in ihrer Schönheit sicher nicht an die alte Kathedrale am Fluss herankommen.
Sehenswert, aber auch gleichzeitig traurig mit anzusehen, ist der botanische Garten von 1900. Das letzte Mal wurde 1924 ein Artenkatalog herausgegeben. Der größte Garten seiner Art in Zentralafrika ist dennoch ein Besuch wert. Mit dem Charme eines gepflegteren und geordneteren Urwaldes lädt das Museum zur Gruselstunde ein. In den Präparaten ist meist der Alkohol verdunstet, im Dach haust eine Fledermauskolonie und der einstige Stolz zerfällt.
Mit nur minimaler Fantasie lässt sich im heutigen Wochenendsziel die Pracht erkennen. Es scheinen aber einige Investitionen im Bau zu sein. Die Zeit wird vielleicht wieder Positives hervorbringen.
Pygmänen: Jäger und Sammler verloren in der Zivilisation
Unser erster voller Tag von zwei steht unter dem Stern der Organisation unseres Besuches in einem Pygmänendorf. Recht inkompetent, unwissend und irreführend werden wir von Tourismusbüro zu Tourismusbüro geschickt, um nichts organisiert zu bekommen. Das einzige, was wir damit bewirken, ist die Aufmerksamkeit der Papiertiger. Am zweiten Tag werden wir noch vor dem Frühstück um 7 Uhr von einer dreiköpfigen Delegation des städtischen Tourismusbüros überfallen. Sie wollen wissen, was wir so als Touristen machen, was wir uns anschauen wollen und irgendwann fällt auch mal das Stichwort „Formular für 10 $“. Ganz erstaunt, dass wir uns Freiheiten herausnehmen und dass man in Deutschland sich frei bewegen kann und mit seinem Fotoapparat machen kann was man will, stelle ich sie kalt und erkläre unser Gespräch für beendet. Papiertiger schmecken mir gar nicht zum Frühstück.
Pünktlich um 7:30 erscheint unser Guide Bienvenue, ein Mitarbeiter aus dem Umweltministerium. Wir hatten ihn am Vortag getroffen und er nahm sich nun einen Tag frei, um uns ein Pygmänendorf zu zeigen. Mit von der Partie auch ein evangelischer Pastor. Beide zusammen anscheinend bekannt wie die Hunde, waren unsere Eintrittskarte zu einem Dorf.
Nur 50 Kilometer südlich von Mbandaka führte uns der 77-jährige Dorfälteste durch seine Gemeinschaft, erzählte uns über seine Kultur und die Lebensweise der Pygmänen. Deutlich sah man, dass sie mit der Neuzeit zu kämpfen hatten. Die einstigen Jäger und Sammler brauchen nun Waffenscheine und sind für Landwirtschaft und Viehzucht unzureichend aufgestellt. Die Lebensbedingungen, die wir vorfanden, waren erbärmlich. Dies bestätigte uns auch nochmal der Sektorenchef der Provinzregierung. Für uns ein hautnaher Einblick in die Siedlung einer alten Kultur.
Kinshasa: 8-Millionen-Riese ohne Sehenswürdigkeiten
Mit ein wenig Respekt vor Kinshasa fahren wir zum Flughafen nach Mbandaka. Problemlos und mit eingeübter Routine checken wir ein, erledigen die DGM- und Gesundheitsformalitäten und nehmen auf der Flughafenterasse platz. Der Flieger kommt gerade rein, fliegt aber erst nochmal nach Gemena bevor wir ihn besteigen dürfen. Das erste Flughafenrestaurant nach Goma erwartet uns. In Kinshasa warten wir noch eine ganze Weile auf unser Gepäck, finden dann aber schnell einen Taxifahrer, der zwar erstmal 70 $ für 25 Kilometer haben möchte, sich dann aber auf einen fast normalen Preis von 30 $ drücken lässt. In der Procure St. Anne angekommen, gehen wir noch schnell auf Erkundungstour im Viertel. Erschlagen von riesigen Supermärkten, westlichen Produkten im Überfluss und besonders von den horrenden Preisen setzt ein zweiter Zivilisationsschock ein. 3 bis 4 $ für eine Tafel Schokolade, Nutella für 15 $ und 10 kg Hundefutter für 52 $ sprengen unsere Sinne. Wir flüchten mit leeren Händen aus dem Supermarkt.
Ein gutes ausführliches Frühstück bewirkt Wunder. Wir brechen zu einem Spaziergang epischen Ausmaßes auf.
Kinshasa hat nicht nur 8 Millionen Einwohner, so wird gemunkelt, sondern die Distanzen sind auch riesig. Vom Hafen aus laufen wir vorbei am Ostbahnhof über den Boulevard des 30. Juni zum Zentralmarkt. Ganz froh, dass heute Sonntag ist, bahnen wir uns unseren Weg durch tausende leerer Holzverschläge und Berge von Müll. Es braucht nicht viel sich vorzustellen, wie ein Markttag aussieht, auch weil wir kurz darauf einen kleinen Vorgeschmack bekommen.
Noch bevor wir das Stadion der Märtyrer erreichen, machen wir halt in einer ehemaligen Radrennbahn. Umfunktioniert in ein Fussballstadion schauten wir eine Weile einem Turnier zu.
Aus der Ferne sahen wir den Volkspalast. Einige Kilometer später kurz vor dem Präsidentenpalast kam unsere Sightseeing-Tour zu einem Wendepunkt. Ein Militär-Checkpoint ließ uns umkehren. Unbeirrt schlenderten wir weiter durchs Botschaftsviertel. Am Kongo vor der deutschen Botschaft konnten wir kurz über die Grenze schauen und Brazzaville bewundern.
Das letzte Highlight der Stadt wurde das Mausoleum von Laurent Kabila vor dem Nationalpalast. Zwar wieder eine Hochsicherheitszone und wir mussten den wachhabenden Militär unsere Ausweise zeigen, dennoch überraschte mich, das Fotos erlaubt waren, wir wären ja Touristen und Bilder völlig normal. So denkt auch nur der Kongo auf diesem Platz.
In der Theorie kann man als Technikbegeisterter auch die ONATRA-Werft besuchen, aber wir scheiterten aus Zeitgründen an einer Erlaubnis vom DGM, da wir uns sonst zu nah an der Grenze aufhalten würden. An der deutschen Botschaft hätten wir ohne Zaun rüber schwimmen können. Da hat sich keiner hinter Papier versteckt. Dafür gibt es kleine Neuigkeiten. Der Kongo restauriert seine alte Passagierschiffflotte. Bilder und Videos vom ersten Schiff, angeblich ein Neubau, lassen Großes erwarten. 1. bis 4. Klasse, Fahrzeit von Kinshasa nach Kisangani 15 Tage und 7 Tage für die Rückfahrt. Ich würde mich über zukünftige Information und Bilder von der Reise freuen.
Mit Kinshasa geht das Abenteuer Demokratische Republik Kongo zu Ende. Die Stadt lädt nicht zum Träumen ein, auch weil man sonst auf der Straße in die großen Gullilöcher fallen würde. Sie besticht auch nicht durch Sehenswürdigkeiten.
Ich finde in Retrospektive die Route über Goma, Kisangani, Bumba, Lisala, Gemena und Mbandaka angenehm, da man sich langsam ins Herausfordernde vorarbeitet und am Ende mit einem Zivilisationsschock abgeschreckt wird.
Kongo, du warst eine harte Nuss.
Ich muss auch meiner Reisebegleitung danken, dass sie mich in ihre Pläne integriert hat. Ohne sie wäre mein Ausflug in den Kongo in Goma am Nyiragongo und bei den Gorillas zu Ende gewesen.
Magst du diesen Artikel? Teile ihn auf...