Mit den Anden vor mir wuchs langsam die Idee Bergsteigen zu gehen. Der Wunsch wurde immer größer und die Berge links und rechts der Straße von Arica nach La Paz auch. In La Paz angekommen unterhielt ich mich mit einigen Backpackern aus dem Hostel und schnell hatte ich ein Ziel ausgemacht. Bei so viel Auswahl musste ich erst mal ausloten, welche Schwierigkeitsstufe ich mir überhaupt zumuten konnte. Viel Erfahrung hatte ich nicht, auch hatte ich noch nie mit Steigeisen und Eispickel hantiert. Fit hingegen war ich und ein wenig Klettererfahrung mit Seil konnte ich auch vorweisen. Ein Berg musste her, der anspruchsvoll aber ohne weiteres Training machbar war. Da kam der Reisebericht von zwei Französinnen gerade recht. Sie empfahlen den Huayna Potosí und eine Agentur, mit der sie sehr zufrieden waren.
Die Kletterpartner
Alleine unterwegs tat ich mich mit dem Schritt etwas schwer, zur Agentur zu gehen und einfach ins Blaue hinein zu buchen. Auch musste ich erst mal etwas Höhenluft in La Paz schnuppern. Die ersten Nächte waren schon etwas hart auf 3700m, aber schnell waren die Kopfschmerzen Vergangenheit und ich schnaubte nicht mehr beim Erklimmen der Dachterrasse im Hostel. Dort war es auch, wo ich bei einem Hausbier zwei Australier kennenlernte. Wir unterhielten uns für eine Weile und sie weihten mich in ihre Idee ein, Bergsteigen zu gehen. Mein Wissen über eine gute Agentur und ihre Motivation zusammen brachten uns dann auch am nächsten Tag dazu bei „Huayna Potosí Agentur“ zu buchen. Für mich ergab sich der Vertrauensbeweis zur Organisation daher, dass der Besitzer vom DAV (Deutscher Alpenverein) zertifiziert und gleichzeitig Arzt mit Höhenerfahrung war. Er untersuchte uns kurz und erst dann durften wir buchen.
Die Ausrüstung und Anreise
Am nächsten Morgen ging es los. Mit im Gepäck waren die eilig auf dem Markt gekauften Wollsocken und Schokolade. Am Treffpunkt trafen wir noch zwei Franzosen, die mit auf Tour gingen. Wir stoppten kurz an einer Apotheke, um Medikamente gegen Höhenkrankheit zu kaufen (Nur gegen die leichten Symptome, wie Kopfschmerzen und Übelkeit).
Im Lager der Agentur probierten wir die Ausrüstung an. Voll ausgestattet ging es dann aus der Stadt hinaus und in die Berge.
Nach einem Reifenplatzer und einer langen Fahrt über Schotterpisten erreichten wir das Basislager: eine Hütte auf 4750m am Rande eines Stausees.
Begrüßt wurden wir durch Nebel und einer guten Brise. Aber die Köchin zeigte ihr bestes Geschick und nachdem wir unsere Zimmer bezogen hatten, konnten wir köstlich essen.
Nach dem Essen zogen wir uns an und es ging mit unseren Guides auf die Ausläufer des Gletschers. Dort machten wir uns gegenseitig näher bekannt und probierten die verschiedenen Aufstiegstechniken aus. Auch das Verhalten bei Gletscherspalten und Abstürzen wurde trainiert. Natürlich diente der leichte Aufstieg auch zur Akklimatisierung.
Die ersten Meter über 5000
Nach einer recht unruhigen Nacht aufgrund der Höhe und Kälte durfte ich am frühen Morgen leicht bekleidet erst mal Eis zerhacken, um an das Toilettenspülwasser zu gelangen. Nach dem Frühstück hatten wir bis Mittag Zeit, uns zu entspannen, die Sonne zu genießen und die Ausrüstung auszuprobieren. Ich lief mich in meinen Eisstiefeln warm und erkundete die Umgebung der Hütte.
Nachmittags stand dann der Aufstieg zum oberen Camp auf dem Programm. Wir schlichen langsam den Berg hoch. Erst über Geröll und die letzten 100 Höhenmeter über Schnee. Mit dem Durchstoßen der Wolkendecke konnten wir unsere Hütte und endlich auch wieder den Gipfel des Huayna Potosí sehen. Noch vor Sonnenuntergang bereiteten wir alles für den nächtlichen Aufstieg vor. Selbst die Toilette auf 5300m war ein Genuss. Eine solche Aussicht bieten selten Toiletten.
Trotz Appetitlosigkeit zwängte ich mir Spagetti und eine warme Suppe hinein. Die Höhe war definitiv zu spüren. So musste der erst an diesem Tag zu uns gestoßene Amerikaner schon auf 5100m kehrt machen und den Abstieg antreten. Die Australierin und einer der beiden Franzosen mussten nach einer anscheinend sehr grauenvollen Nacht auf 5300m den Abstieg antreten, während wir uns um 1 Uhr für den finalen Aufstieg vorbereiteten.
Der Gipfelsturm
Um 2 Uhr nachts verließen wir unseren Unterschlupf. Unsere Ausrüstung ließen wir im Camp zurück. Im Rucksack befanden sich nur noch eine Flasche warmes Wasser und Schokolade. Wir hofften, dass das Wasser uns nicht einfror und die Schokolade uns den letzten Energieschub für den Gipfelsturm gab.
Im langsamen Tippelschritt folgten wir zu dritt unseren zwei Guides. Im Schein des Mondes brauchten wir nur selten unsere Kopflampe anmachen. Wir bewegten uns langsam über Gletscherfelder mit tiefen Spalten bis wir zum Highlight des Aufstiegs kamen. Einer 12 Meter hohen Wand, die wir als Seilschaft an einem Stück durchsteigen mussten. Nur gehalten von den Steigeisen und dem Eispickeln und im Takt des schnell voraussteigenden Guides kämpften wir uns die Eiswand hoch.
Nachdem wir uns weiter durch Wind und Wetter gezeichnete Eisfelder mit eisigen, gen Himmel gerichteten Dornen geschlängelt hatten, kamen wir auf dem letzten Grat der Reise an. Zur Linken 100m Abgrund in Richtung Dornenwald, zur Rechten hinter der Schneebrüstung tausend Meter steil abfallendes Gelände.
Im Schein der ersten Sonne und bei schönstem Wetter erreichten wir gegen 7:30 Uhr den Gipfel: 6088m. Ein wahres Glücksgefühl durchströmte den Körper. Die Landschaft und die Bergwelt schien vor den Füßen zu liegen und mir, dem Gipfelstürmer Respekt zu zollen.
Der Abstieg
Lange hielten wir uns nicht auf dem Gipfel des Huayna Potosí auf. Nachdem wir uns gegenseitig mit unseren im Basiscamp schnell gezeichneten Gipfelschildern fotografiert und uns im Gipfelbuch eingetragen hatten, begann schon der Abstieg.
Bis zur oberen Hütte ging es bei schönstem Wetter in der Seilschaft Berg ab. Am Tage erschienen die nachts überklommenen Gletscherspalten nochmals viel tiefer. In der Hütte sammelten wir unsere Ausrüstung zusammen und wurden von dem Guide weiter zum Abstieg getrieben. Ich blieb erst mal im Schnee stecken. Nachdem ich mir schon völlig erschöpft wieder die Steigeisen an meine Schuhe anmontiert hatte, ging es weiter abwärts. Im Selbsterhaltungsmodus taumelte ich den Berg hinunter. Hinter mir in der Ferne sah ich noch meinen Seilschaftskollegen aus Australien und vor mir eine bunte Gestalt, den Franzosen, der 20 Minuten vor mir das Basiscamp erreichte.
Angekommen wurde mir keine Pause gegönnt. Die Guides trieben mich weiter, meine Sachen zu packen, um mich pünktlich um 13 Uhr zum Mittagessen zu bugsieren. Total erschöpft stiegen wir dann alle zusammen in den Minibus, der uns zurück nach La Paz brachte.
Am nächsten Tag saß ich dann im Flugzeug von La Paz nach Rurrenabaque. Es flog direkt am Huayna Potosí vorbei. Nicht drüber, sondern nur auf 5000m Höhe vorbei. Ein bewegender Augenblick, selbst aus dem Flugzeug noch hoch zu schauen und sagen zu können: „Dort oben stand ich gestern!“
Eine Wahnsinnserfahrung und die anstrengendste in meinem Leben noch dazu!
Achtung!
Höhenkrankheit ist nicht zu unterschätzen und man sollte vorher einen Arzt konsultieren. Außerdem ist es wichtig die Symptome zu kennen und seinen Ehrgeiz im Zaum zu haben, um rechtzeitig abzusteigen.
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