Es ist brütend warm. Ich wünsche mir ein kühlendes Lüftchen herbei. Der Schweiß rinnt mir über die Stirn und die Kleidung klebt am ganzen Körper. Bei der Wärme fällt selbst das Eindösen schwer und auch das leichte Schaukeln der Hängematte schafft es nicht, mich zum Schlafen zu überreden. Ich öffne die Augen und schaue auf dichtes Grün. Mit etwas gutem Willen kann ich den Himmel erahnen. Nicht allzu weit entfernt dröhnt der Verkehr über die einzige Straße, die das Idyll mit der großen Stadt verbindet. Ungefähr drei Stunden braucht es mit dem Bus nach Córdoba, der Hauptstadt der gleichnamigen Region. Jetzt bin ich aber erst mal hier – in meinem Paradies!
Freundschaft
Erst vor einigen Tagen stand ich auf dem höchsten Berg in Südamerika, dem Aconcagua. Zusammen mit Herman habe ich es geschafft. Über Monate hatte ich mich auf diesen Moment vorbereitet und als ich dann oben stand fiel eine riesige Last von meinen Schultern. Ein Traum wurde wahr. Und einen großen Anteil daran hatte Herman, mein Bergführer. Vor zwei Wochen kannte ich ihn überhaupt noch nicht. Aber Berge schweißen zusammen und so lädt mich Herman mit zu seiner Familie ein. Ich nehme die Einladung an. Die Tage im Zelt und in relativer Ruhe, lassen die quirlige Stadt Mendoza ziemlich unangenehm wirken. Wie ein Roboter und mit starrem Blick schweife ich zielstrebig durch die Straßen. Umso besser fühlt es sich an, als wir in dem Haus von Herman ankommen. Es liegt am Fuße seiner Berge, seiner Heimat. Herman hat Jahre an seinem Kunstwerk von Haus gearbeitet. Alles selbst gebaut und sich einen Rückzugsort von der stressigen Welt geschaffen.
Sein Hund hört das Auto schon von Weitem und springt uns entgegen. Über einen schmalen Pfad erreichen wir die Veranda. Couch und Sessel stehen draußen vor dem Haus. Seine Katze chillt auf dem dritten Sessel und schaut mich verträumt an, als ich den Platz neben ihr einnehme. Hermans Kinder lassen es sich nicht entgehen, ihren Vater herzlich zu begrüßen. Sie wissen ganz genau, was ihr Vater in den Bergen macht und freuen sich umso mehr, ihn wieder zu sehen. Erst 2017 kam der erste Funkmast an den Aconcagua. Seitdem erreichen die Nachrichten schneller und einfacher die Welt, von Erfolgsmeldungen bis Nachrichten über zerplatzte Träume. Davor wartete man Zuhause mitunter Wochen auf die Nachricht. Der Aconcagua bleibt eine Expedition mit allem was dazu gehört. Dessen sind sich die Kinder auch bewusst.
Anita, Hermans Frau, erwartet uns auch schon. Sie hat das Abendessen zubereitet. Herman steuert noch frische Avocado bei, die wir auf dem Weg hier her erstanden haben. Zusammen genießen wir das frisch gebackene Brot, Oliven aus eigenem Anbau und die flink zubereitete Avocadocreme. Bis spät am Abend sitzen wir im Freien und unterhalten uns.
Entspannung
Mitten in der Natur ist das Aufstehen ein wundervoller Akt. Die Geräusche des Tages wecken mich sanft. Lange habe ich nicht so gut geschlafen. Herman ist schon im Garten aktiv, schaut nach dem Rechten und kümmert sich um seine Pflanzen. Immer dabei seine Kinder, die hier in der Abgeschiedenheit eine großartige Freiheit genießen, sich ungestört und entdeckerisch zu bewegen.
Hermans Familie lerne ich am Nachmittag kennen. Mit Freude werde ich begrüßt. Die ganze Familie spricht mehr oder weniger Deutsch. Ein Relikt aus den Zeiten der Einwanderung. Eine interessante Mischung aus argentinischem Akzent und altem Deutsch. Zusammen brechen wir zu einer kleinen Wanderung in Richtung Berge auf. Direkt hinter dem Ort steigen die Berge der „Sierra de los Comechingones“ empor. Hermans Berge, wie er sie immer bezeichnet. Nur 20 Minuten später queren wir einen Flusslauf und klettern über ein paar Felsen, um die kleinen Pools unterhalb der Wasserfälle zu erreichen. Das kühle Nass ist eine wohltuende Erfrischung. Die Hitze steigt mir langsam den Kopf hinauf. Ich fühle mich aber unheimlich wohl. Es ist ein Gefühl, das ich nicht so oft habe. Es ist das Gefühl vollkommener Entspanntheit, vollkommener innerer Ruhe. Der Tag fließt einfach nur, keine Grenzen, keine Beschränkungen. Nach den Anstrengungen der letzten Monate, um mein großes Ziel zu erreichen, ist hier mein Paradies.
Schwerer Abschied
Zu gerne würde ich noch länger hier bleiben und dieses Gefühl von innerer Freiheit behalten. Aber, in einigen Tagen steht mein Rückflug nach Deutschland an. Ein Gedanke, der immer wieder aufpoppt und ein Gefühl von Wehmut auslöst. Im Garten von Herman rasiere ich mir meine Wolle aus dem Gesicht. Sie zeugt von Schutz, Wärme und einem entspannten Lebensgefühl. Jetzt kommt sie runter und ebnet auch auf ansehnliche Weise den Weg zurück in die Normalität.
Als ich auf den Bus warte, der mich nach Córdoba bringen soll, ist das Gefühl von Bedrückung besonders stark. Wieso weiterziehen?
Ich erreiche Córdoba Sonntag Mittag. Die Stadt ist ausgestorben. Die Siesta hat die Straßen leer gefegt. Nach tagelangem Grün ist diese Steinwüste aus Gebäuden ein absoluter Schock. Schon fast gespenstisch wirkt die Stadtkulisse auf mich. Ich kann der Stadt im ersten Moment nichts abgewinnen. Die Sehenswürdigkeiten, die Kirchen, Klöster und Plätze haben keinen Charme. Ich streiche durch die Straßen. Ohne Menschen rückt der Müll und der Schmutz in den Vordergrund.
Ich ziehe mich in die Kunstmuseen der Stadt zurück. Klimatisiert, bunt, bewegt und aufrichtig überbrückt die Kunst meine Mittagsdepression und ich flüchte aus der Hitze. Im Museum Emilio Caraffa entdecke ich ein riesiges Gemälde. Es ist die Ansicht, die sich mir auch schon vor sechs Jahren geboten hat. Der Blick auf die Südwand durch das Tal der „Quebrada de los Horcones“. Das Gemälde setzt Glücksgefühle und Emotionen in mir frei.
Mit dem Ende der Siesta setzt augenblicklich wieder Leben in der Stadt ein und holt mich aus meinen einsamen Gedanken. Ich setze mich vor das Kulturzentrum „Paseo Del Buen Pastor“ und lausche dem Konzert lokaler Bands. Die Zeit verstreicht und es wird langsam Zeit, sich zu verabschieden. Ein Nachtbus bringt mich zurück nach Mendoza, von wo aus ich den Rückweg nach Deutschland antrete – aus dem warmen Argentinien in das kalte Deutschland. Herman wird in den nächsten Tagen auch wieder nach Mendoza zurückkehren und drei weitere Expeditionen zum Gipfel des Aconcagua führen.
Ich werde die große Familie und Gastfreundschaft Hermans vermissen. Bleiben wird die Erfahrung und das Wissen, dass Berge zusammenschweißen, Freundschaften bilden und dass auch hoch gesteckte Ziele erreichbar sind, wenn man genügend Willen und Vertrauen aufbringt.
Podcast der Expedition
Du möchtest die ganze Geschichte auf deine Lauscher? Als besonderes Highlight gibt es die Expedition als Podcast von „Radioreise“ mit Alexander Tauscher. Einfach dem Link folgen.
Expedition 6000+
Dieser Artikel ist Teil meiner Serie „Expedition 6000+„. Sie führt zwei Monate durch die schönsten Wanderregionen Südamerikas von Patagionen, Bolivien bis zum höchsten Punkt der Reise, dem Aconcagua in Argentinen. Folge der Reise und genieße die weiten Landschaften, hohe Berge und die abwechslungsreiche Kulturen Südamerikas.
Yes. I like it.