Es ist Mitternacht. Ich stehe mit 13 anderen Reisenden auf einem dunklen Parkplatz. Der Bewegungsmelder vom Licht mag uns definitiv nicht und lässt uns mehr im Dunkeln stehen, als dass er uns was Gutes tut. Also räumen wir brav die Koffer in den Anhänger und setzten die kleine Autokarawane in Bewegung in Richtung Berlin. Auf ins Abenteuer Guinea!
Das Koffer-Tetris von Conakry
Noch am Flughafen geben wir unseren Fahrern die Winterkleidung zur Aufbewahrung wieder mit. Im Terminal überstehen wir die deutsche Winterkälte ohne Probleme. Der kurze Weg zum Flugzeug ist der letzte Schüttelfrostmoment, bevor es ab in die Wärme geht. 12 Stunden später landen wir in Conakry – 38°C inklusive.
Es ist meine erste Reise mit einer festen Reisegruppe seit meinem dritten Jahr im Studium. Wirklich Urlaub ist es natürlich auch nicht. Wir landen in einem der ärmsten Länder der Welt, mit dem Ziel den Bau einer Berufsschule in Télimélé tatkräftig zu unterstützen. 14 Tage Guinea und der erste Tag ist schon fast vorbei als wir den Flughafen verlassen. Meine erste Amtshandlung, einen kleinen Sitzstreik für meinen Koffer im Zoll, habe ich mit Bravur überstanden.
Perfekt organisiert werden wir am Flughafen empfangen und verstauen unsere Koffer – irgendwie! In Deutschland war es noch einfach. Klappe auf, Koffer in den Anhänger, Klappe zu. Jetzt stehen wir mit 14 Mann und Frau vor drei Autos. Bis unter den Deckenrand packen wir zwei voll. Die Ladefläche vom Pickup beladen wir nicht nur mit unserem Gepäck, wir springen auch gleich zu dritt auf die Ladefläche. Die Klimaanlage ist uns mit dem Fahrtwind garantiert. Ich genieße die gefühlte Kühle.
Das andere Reisen
Herzlich werden wir in Conakry empfangen. Für mich ist es total ungewohnt. Alles ist organsiert. Ich habe noch nicht einmal Geld einstecken. Meine eigenen Reiseregeln stehen Kopf. Es ist ein befreiendes Gefühl, Verantwortung abgeben zu können und einfach nur den Moment zu genießen. Das Land ist mir sofort sympathisch. Eine gesunde Partie Skepsis bleibt dennoch. So ganz kann ich meine Prinzipien, die mir seit Jahren treu gedient haben, nicht über Bord werfen. Aber eins ist jetzt schon klar: die Gruppe ist sehr angenehm.
Für mich kommt das Neue am nächsten Tag. Wir als Delegation werden vom Bildungsminster von Guinea empfangen und dürfen unser Projekt, die Berufsschule, vorstellen. Er unterstreicht die Wichtigkeit des Projektes und ist beeindruckt von unserem Engagement. Seine Unterstützung in der Zukunft ist uns sicher. Ein großer Meilenstein für das Projekt!
Es wird langsam Nachmittag und wir setzen zum ersten touristischen Teil der Reise an: dem Markt. Zuerst decken wir uns mit Figuren auf dem Holzmarkt ein, bevor wir in den Abendstunden zum Markt gehen. Für manch einen aus der Gruppe werden die engen Gassen des Marktes zu einer Probe. Eng, verwinkelt, schmutzig und sehr geschäftig umschließt der Markt die Gruppe. Die Gassen lassen kaum Möglichkeiten, den Menschen auszuweichen und das Warten aufeinander wird zu einem Geduldspiel.
Mittendrin sitzen zwei Kinder; Bruder und Schwester. Sie hält eine kleine Tafel in der Hand, während er die Zahlen auf französisch immer wieder wiederholt. Gefangen in einer Endlosschleife. Sie lernen gemeinsam das Zählen – auswendig. Die Zahlen sind keine zusammengesetzten Werte, es sind Vokabeln. Ihr Vater erzählt mir, dass die Kinder nicht in Pular (einer der Landessprachen) zählen können. Sie kennen nur die französische Vokabel. Im Gegenzug kassiere ich die Frage, warum ich nicht Pular in Deutschland lerne. Mein Argument, dass wir gerade doch so schön auf französisch reden können, lässt er nicht gelten. Wir sollten wie sie eine „westliche“ Sprache lernen, auch eine „westafrikanische“ Sprache lernen. Spannend wäre es allemal. Aber leider bin ich zu kurz da. Zumindest nach dem Weg kann ich jetzt schon fragen. Eine wichtige Frage aber, wie heißt mein Hotel nochmal? Keine Ahnung. Den Heimweg finde ich zum Glück auch so.
Die Piste nach Télimélé
Es ist 6 Uhr morgens, als sich die Tore des Anwesens in Conakry öffnen und wieder drei Autos ausspucken. Vollbepackt mit Koffern, Verpflegung und einer hochmotivierten aber noch etwas schläfrigen Truppe. Die Nacht war kürzer, als sich so manch einer erhofft hatte. Noch eine Stunde vor Sonnenaufgang. Es ist dunkel, die Straßen sind aber schon gut gefüllt. Entlang der Hauptstraße steigen schon Menschen in die vollgepackten Minibusse, rennen lebensmüde über die mehrspurige Straße und unser Auto ist mitten drin. Das Scheinwerferlicht des Gegenverkehrs lässt die schmutzige Windschutzscheibe in einem klaren weiß erscheinen. Ich bin blind. Nur wilde Schemen rasen an mir vorbei. Wie der Fahrer hier keinen trifft und noch nicht einmal ein Schlagloch mitnimmt, bleibt mir ein Rätsel. Als die Sonne endlich aufgeht, sind wir am Stadtrand angekommen. Die Straße verjüngt sich zu einer zweispurigen Fahrspur und aus dem Stadtdschungel wird ein ländliches Ambiente. Palmen säumen die Felder und die Straße wird gerahmt von Berghängen.
Die Fahrt führt uns ins diesige Hochland. Die Temperaturen steigen mit jeder Minute, aber der Himmel wird nicht klarer. Die Straße schlängelt sich die Berge hoch und runter. Einige Kilometer vor Kindia erreichen wir einen Aussichtspunkt. Nicht nur der Blick über die verschwommene Landschaft, sondern auch auf zwei Auto- und LKW-Wracks eröffnet neue Welten. Ich habe noch nie auf einer Strecke von 140 Kilometern so viele Wracks gesehen. Sie zeugen von roher Gewalt und wilden Fahrmanövern. Das Blech um mich herum beruhigt manchmal nur wenig.
In Kindia packen wir die Koffer auf dem Dach und der Ladefläche des Pickups nochmal ordentlich ein. Ab hier wird aus der geteerten Straße eine raue Piste. Kofferfärbender roter Staub wird ab nun unser treuer Begleiter.
Während wir bisher noch mit bis zu 80km/h vorankamen, verzeihen die Federungen der Autos jetzt nicht mehr als 40km/h. Unsere Hintern freuen sich dennoch sehr über Geschwindigkeiten unter 20km/h. Wir werden durchgeschüttelt. Die letzten 120 Kilometer nach Télimélé sind hart. Die Brücke über den Konkure Fluß ist der Höhepunkt auf der Strecke. In einem kleinen Dorf 40 Kilometer vor unserem Ziel machen wir kurz halt und statten einer alten Bekannten einen kurzen Besuch ab. Unsere Motoren danken uns den Stopp und genießen ihre Abkühlpause.
Neun Stunden nach Abfahrt rollen wir nach Télimélé ein. Unsere Hintern und Rücken sind uns dankbar, als wir das Auto verlassen. Wir werden schon sehnlichst erwartet! Aber was uns erwartet; damit haben wir nicht gerechnet!
Guinea – Schule fürs Leben
Teil 1 – Conakry im Morgengrauen
Teil 2 – Begrüßung à la Télimélé
Teil 3 – Berufsschule: Hier lernt man Schwitzen
Teil 4 – Die Natur ruft – Hochland von Guinea
Teil 5 – Grundschule: Jeder fängt mal klein an
Teil 6 – Schule fürs Leben – Das Video
Spannender Einstieg in deine Reise! Ich kann nachvollziehen, wie komisch es für dich gewesen sein muss, die Zügel abzugeben und plötzlich in der festen Reisegruppe unterwegs zu sein 😉 Ich freu mich drauf, mehr von der Arbeit in der Schule zu erfahren!